Die Bundesrepublik Deutschland, ein „Land ohne Katastrophen“, war auf die Pandemie, die im Frühjahr 2020 über die Welt und Europa hinwegfegte, nicht vorbereitet. Die Definition von Pandemie kann eine „Herausforderung“ für die Juristen sein, die sich auf die Epidemiologie stützen müssen, um Beweise für die Bestimmung dieser einzigartigen Lage zu finden. Die deutschen Pandemiepläne werden in Anlehnung an die Planungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt. Sie haben keine verbindliche Rechtskraft und sind, insbesondere im Hinblick auf die Mehrzahl der Pläne der Länder, völlig anachronistisch geworden. Das Bonner Grundgesetz vom 23. Mai 1949 enthält in seinem normativen Arsenal keine spezifischen Bestimmungen zur Umsetzung eines an die gesundheitliche Situation durch die Coronavirus-Epidemiewelle angepassten Ausnahmezustands. 

Anders als Frankreich versank Deutschland auf den ersten Blick nicht in der normativen Inflation. März 2020 hat der Bundestag gemäß der Neufassung des Paragraphen 5 des Gesetzes über die auf den Menschen übertragbaren Infektionskrankheiten die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgelegt. Die Maßnahmen, die die Durchführung der Gesundheitspolitik ermöglichen, sind gemäß § 28 Abs. 1 über Schutzmaßnahmen bei Feststellung von Personen, die krank, ansteckend oder Ausscheider einer übertragbaren Krankheit sind, und gemäß § 32 über den Erlass von Rechtsverordnungen durch die Länder zu treffen. Das Hauptproblem dieser Regelungen ist die Konfrontation zweier verfassungsrechtlich geschützter Rechte: Individuelle und kollektive Freiheiten werden auf dem Altar der körperlichen Unversehrtheit der Bevölkerung geopfert, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der von den Bundes- oder Landesbehörden getroffenen Maßnahmen zu berücksichtigen ist. Dieser intellektuelle Spagat wird im Falle der durch die Ungewissenheit des Risikos gekennzeichneten Coronavirus-Epidemie zu einer unlösbaren Schwierigkeit. 

Die Aufgabe des Richters ist schwieriger als sonst, denn er die Einschränkungen der Ausübung der Grundrechte beurteilen muss, ohne in den politischen Bereich einzugreifen und ohne die Entscheidungszuständigkeit der Verwaltung an sich zu reißen.